Baldur’s Gate 3 schafft dort Lösungen, wo Dungeons & Dragons seit Jahren strauchelt

Baldur’s Gate 3 schafft dort Lösungen, wo Dungeons & Dragons seit Jahren strauchelt

Mit einem End-Game-Drachengeborenen werden selbst die heißesten Feuer im todbringenden Tempel nur noch müde belächelt.

Baldur’s Gate 3 dürfte wohl für so einige Spieler*Innen als eine der fesselndsten Umsetzungen des Tabletop-Konzepts von Dungeons & Dragons gelten, was jemals auf den Bildschirmen zum Leben erweckt wurde. Larians Meisterwerk hat sich jedoch nicht allein mit einer unverfälschten Umsetzung der Vorlage begnügt. Viel mehr hat man geschickt mit den bekannten Aspekten jongliert und dort entsprechende Schrauben nachgezogen, wo es nötig schien, um einen lupenreinen Spielspaß-Garanten zu bieten.

Trotz der soliden, kohärenten Grundlagen der fünften Edition von Dungeons & Dragons sah sich das Entwicklerstudio dementsprechend dazu veranlasst, mehr als nur oberflächliche Anpassungen vorzunehmen, um die ideale Bühne für die eigene Vision zu schaffen, die sich mühelos als eines der besten RPGs aller Zeiten manifestieren dürfte. Diese Anpassungen sind aber nicht nur für die Spieler erfreulich, sie bereichern auch die D&D-Formel aktiv, wo sie doch beispielsweise den Konflikten ein nötiges Maß an Physis wie Greifbarkeit verleihen, die das ursprüngliche Regelwerk bisher missen ließ.

Beispiel gefällig? Wie wäre es mit den Heiltränken? In der fünften Edition können Tränke nur einem einzigen Ziel zugeführt werden, wodurch ihr Nutzen begrenzt ist. In Baldur’s Gate 3 jedoch haben die Charaktere die Fähigkeit, Tränke zu werfen, sodass sie aufplatzen und ihre Wirkung auf ein bestimmtes Areal entfalten. Neue strategische Optionen, die Positionierung sowie Priorisierung ankurbeln und mehr taktischen Tiefgang gewähren. Bleibt man lieber in Formation, um möglichst viele Party-Mitglieder von der Wirkung profitieren zu lassen? Was bedeutet das für die Effektivität von gegnerischen Flächenzaubern? Ist es doch ratsamer, ein hohes Risiko einzugehen, um dem möglichen Wipe der Gruppe zu entgehen? Diese und viele weitere Fragen schwirren fortan durch die Köpfe der Spielerschaft.

Normalerweise will man bei Themen wie Heilung und Heiltränken das Wort “Risiko” eher vermeiden, Baldur’s Gate 3 schafft es aber auch solch einer sonst so geradlinig wirkenden Funktion eine gewisse Tiefe zu verleihen, die auch das Brettspiel-Pendant voranbringen könnte. Und wenn du wüsstest, wie oft ich bereits nach geschickt geworfenen Heiltränken ein fettes Grinsen und ein Gefühl von Cleverness und Überlegenheit hatte … dann würdest du dich nicht wundern, warum ich hiervon derart schwärme.

Aber hier hört es keinesfalls auf: auch Aktionen wie Springen und Stoßen sind in Baldur’s Gate 3 zur Norm geworden. Und so bieten sie nicht nur mehr Möglichkeiten, sondern transportieren das Kampfgeschehen in eine zusätzliche vertikale Ebene, wo auf einmal physische Masse eine zentrale Bedeutung bekommt. Kräftige, massive Charaktere mögen plump sein und nicht allzu flott unterwegs, können aber Gegner im Gegenzug nach Belieben durch das abgesteckte Feld umher stoßen. Muskelbepackte Recken fühlen sich entsprechend mächtig an, wie eine Art Bollwerk, mit dem keinesfalls am Rande einer Klippe zu spaßen ist – so, wie ich es mir in meiner Fantasie auch ausmalen würde.

Baldur’s Gate 3 weicht weiterhin in der Porträtierung der “Helfen”-Mechanik vom Original ab – und an dieser Stelle möchte ich sagen: Gott. Sei. Dank!

In der traditionellen D&D-Regelwelt wird die Aktion “Helfen” lediglich dazu genutzt, um den Wurf eines Verbündeten bei einer bestimmten Aufgabe zu erleichtern. Einer statt zwei Würfel werden gerollt und das bessere Ergebnis schließlich genommen, was in verzwickten Situationen lebensrettend sein kann. Weißt du aber, was noch eher einer Rettung des Lebens entspricht? Die Verbündeten vor dem sicheren Niedergang bewahren! 

In Baldur’s Gate 3 hingegen dient die Aktion “Hilfe” nämlich dazu, niedergeschlagene Verbündete wiederzubeleben … wenn auch nur mit einem einzigen Trefferpunkt.

In dieser Umsetzung wird der Helfende aber demnach nicht mehr lediglich zum Unterstützer, der im Hintergrund agiert, sondern tatsächlich aktiv und somit der entscheidende Engel in jeder noch so tristen Lage. Auch cool: ein jedes Gruppenmitglied hat Zugang zu dieser Aktion! Folglich geht der Verlust des letzten Heilers noch längst nicht mit dem endgültigen Aus der Gruppe einher. Mehr strategische Möglichkeiten! Das ist es, was Baldur’s Gate 3 dem klassischen D&D an vielen Ecken voraus hat.

Noch mehr exemplarische Auszüge für die Qualität von Baldur’s Gate 3 gefällig? Nichts leichter als das!  

Auch die Aktionsökonomie erfuhr unter Larians Einfluss eine Neugestaltung, die innovative Ansätze eröffnet. In Baldur’s Gate 3 erfordern Tränke lediglich eine Bonusaktion, um sie zu nutzen, im Gegensatz zur regulären Aktion, die sie im D&D-Tabletop benötigen. Dies wiederum erlaubt die proaktivere Handhabung deines Tränkevorrats. Wenn du durch einen Zaubertrank oder rechtzeitige Heilung einen Vorteil erlangst und dennoch die Möglichkeit hast, anzugreifen oder Zauber zu wirken, wird der Kampf ganz von allein in Sachen Dynamik intensiviert. Runden müssen nicht mehr durch Heilung oder Vorbereitung verschwendet werden.

Besser ist auch das Tempo der Begegnungen in Baldur’s Gate 3 wie die Einteilung in simple, handhabbare Abschnitte. Zwischen längeren Pausen gewährt dir das CRPG zwei kurze Verschnaufmöglichkeiten pro Tag, die die Auffrischung bestimmter Fähigkeiten oder Wiederherstellung von Trefferpunkten ermöglicht. Wichtiger ist aber die Tatsache, dass diese Pausen unmittelbar zugänglich sind, womit sich das System einmal mehr von der Tabletop-Alternative unterscheidet. 

In Dungeons & Dragons ist der Obolus für eine Rast eine Stunde Spielzeit … in der alles Mögliche passieren kann! Häufig geht hiermit also bereits im Vorfeld die Pro- und Kontra-Diskussion in der Gruppe vonstatten, die die Handlung ausbremst, statt sie weiter voranzutreiben.

Kommen wir zu meinem Highlight: der Welt der Waffenangriffe. Ein jeder Waffentyp in Baldur’s Gate 3 ist derart einzigartig und facettenreich, dass man wohl kaum umher kommt, sich nicht einfach darin verlieren zu wollen. Einzigartige Bewegungen, ein Knaufhieb zur Betäubung mit dem Schwert, ein präziser Sehnenschuss mit dem Bogen, um die Nachhut auszubremsen – Nervenkitzel und Spielspaß pur! 

Im klassischen D&D sind einfache Basisangriffe längst nicht so packend … außer vielleicht du landest direkt zu Beginn einen kritischen Treffer. Obwohl die zahlreichen Klassen des Tabletop-Fundaments durchaus mit verlockenden Optionen und Charakteristiken reizen, sind Grundangriffe einheitlich unspektakulär. Und dann kommt da einfach Baldur’s Gate 3 um die Ecke und macht selbst einen sonst so vernachlässigungswürdigen Aspekt zum kleinen Highlight! 

Und wo Baldur’s Gate schon dabei war, haut es gleich einmal eine Reihe von Restriktionen für Zauberkundige über Bord. Für die Unkundigen: Viele Zaubersprüche in D&D erfordern nicht nur geistige Konzentration, sondern auch bestimmte physische Komponenten sowie freie Hände. Das bedeutet, dass Zauberkundige hierbei des Öfteren vor der Wahl stehen, ob sie lieber mit einer Waffe ins Gefecht ziehen oder doch ihre Zauber wirken wollen. Ein ziemlich nerviges Dilemma, was nur zu gern einmal vom Spielleiter (zum Wohle des Spielspaß) ignoriert wird.

Glücklicherweise hat Larian hier aber nachgelegt und ermöglicht es Zauberwirkern, ihre arkanen Fähigkeiten voll auszuspielen, ohne sich mit Komponententaschen oder Waffenwechsel herumschlagen zu müssen. Befreiung, Vielseitigkeit – Zauberklassen fühlten sich seit Jahren nicht mehr so gut an! 

Ich möchte aber auch nicht reines D&D-Bashing betreiben … auch wenn der Artikel womöglich an einigen Stellen diesbezüglich ausgeartet sein dürfte. Trotzdem ist mir natürlich bewusst, dass es ohne das grandiose Fundament in keinerlei Hinsicht eine so tolle Adaption wie Baldur’s Gate 3 je gegeben hätte. 

Und mir ist auch bewusst, dass Dungeons & Dragons trotz seiner jahrzehntelangen Tradition als Brettspiel natürlich auch von dem Einfallsreichtum der Spielerschaft wie auch den sogenannten “Hausregeln” profitiert, die das etablierte Regelwerk individuell umgestalten. 

Was ich dir aber mitgeben wollte, ist die Botschaft, dass Baldur’s Gate 3 eben viel mehr als ein bloßer Videospiel-Abklatsch der Grundformel ist. Der Titel hat ein eigenes Flair, er macht mehr als genug anders, vieles gar besser als das Grundspiel. Es ist gewissermaßen das Software-Äquivalent zu einer Gruppe, die nach ganz eigenen, hervorragenden Hausregeln D&D spielt – und diese Gruppe nennt sich Larian Studios und hat wohl einen der größten Coups in 2023 geschaffen! 

Wenn du noch immer auf die Veröffentlichung von Baldur’s Gate 3 für Konsolen, konkret der PS5-Variante am 6. September oder aber der künftigen Xbox-Fassung, wartest, könnten dir unsere Listen mit den besten PS5-Spielen und Xbox-Titeln bis dahin die Langeweile vertreiben.

Oder aber du beliest dich schon einmal zu Klassen-Empfehlungen für deinen CRPG-Run in Baldur’s Gate 3 auf Konsole … oder eben dem PC.

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